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Die Lammetalbahn

Rückblick  -  07.11.1901

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Anschluß an die weite Welt - Erinnerung an eine Bahnstrecke

Vor 100 Jahren wurde die Eisenbahnstrecke Gronau - Bodenburg - Bad Salzdetfurth eröffnet

Ein Rückblick von Joachim Diehl, Almstedt

Im heutigen Zeitalter des Individualverkehrs und der weiteren Verlagerung von Verkehrsströmen von der Schiene auf die Straße, ist kaum noch vorstellbar, welche Bedeutung der Eisenbahn in unserer Region einst zukam. Zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die großen Städte und Ballungsräume größtenteils an das stetig wachsende Eisenbahnnetz Deutschlands angeschlossen. In unserer Region erschloß die Hannoversche Südbahn seit 1853 die Städte Alfeld und Elze; Hildesheim bekam sogar bereits 1846 Anschluß an das Eisenbahnnetz. Mit dem Bau der Eisenbahn war es erstmals möglich, Menschen und Güter schnell und ohne großen Aufwand über große Entfernungen zu transportieren. Die Bahn ermöglichte den Anschluß an die "große weite Welt". Wirtschaft, Handel und Gewerbe nahmen mit der neuen Transportmöglichkeit einen ungeahnten Aufschwung. Die abseits der großen Bahnlinien gelegenen Ortschaften gerieten zunehmend ins Abseits. Man war daher bestrebt, auch die ländlicheren Regionen durch Nebenbahnen zu erschließen. Erst um die Jahrhundertwende konnten derartige Pläne in die Tat umgesetzt werden. Im Jahre 1900 erreichte der Bahnbau von Elze kommend endlich auch die Kreisstadt Gronau und auch die Strecke Groß Düngen - Bad Salzdetfurth wurde in Betrieb genommen.

Vor genau 100 Jahren, am 7. November 1901, war es dann auch für die Orte Barfelde, Eitzum, Hönze, Sibbesse, Almstedt-Segeste und Bodenburg soweit: Die Eisenbahn hielt ihren feierlichen Einzug. Unter Teilnahme der örtlichen Honoratioren, der "Geistlichkeit" und den Schulkindern zog die Bevölkerung zu den festlich geschmückten neuen Bahnhöfen. Die Almstedter Feuerwehrkapelle sorgte im ersten Zug für musikalische Begleitung. In Sibbesse wurde am darauffolgenden Sonntag ein Festmahl zur Feier der Eröffnung abgehalten.

Die neue Bahnlinie brachte den ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung. War man bislang auf langwierige und beschwerliche Reisen und Transporte mittels Pferdefuhrwerken angewiesen, konnten nun selbst große Mengen an Rohstoffen, Heizmaterial und Fertigerzeugnissen leicht und schnell befördert werden. Auch die Postbeförderung erlebte durch die neue Bahn eine erhebliche Beschleunigung. Ein Bericht der Niedersächsischen Volkszeitung vom 19.1.1904 beschreibt dies sehr treffend:
"Almstedt und das übrige Europa (!): Seit mehr als zwei Jahren durcheilt das Dampfroß unsere Fluren und erfreut uns durch sein liebliches Geläute. Wie erhebend ist es, dem Weltverkehr angeschlossen zu sein. Eine Reise nach Hildesheim oder Hannover ist jetzt in einigen Stunden abgemacht. Auch die Schätze unserer Berge werden durch die Eisenbahn besser ausgebeutet. Ist doch in unserem Ort ein größeres Kalkwerk entstanden, welches vielen fleißigen Händen lohnenden Verdienst bringt und den Grundbesitzern eine Rente abwirft. Kurzum, die Eisenbahn fördert auch das Gesamtwohl."

Neben dem Almstedter Kalkwerk profitierten u.a. auch das Kaliwerk Bad Salzdetfurth, die Zuckerfabriken in Östrum und Gronau und viele kleinere Gewerbebetriebe von der neuen Bahn. Selbst das Eitzumer Sägewerk erhielt ein eigenes Anschlußgleis. Zahlreiche neue Arbeitsplätze entstanden und wurden durch die Bahn leicht erreichbar. Auch so mancher Schüler wurde zum "Fahrschüler" und erreichte mit der Bahn die höheren Schulen in den größeren Orten. Doch auch an andere "Fahrgäste" hatte die Königlich Preußische Eisenbahnverwaltung gedacht. In den Bahnhöfen Sibbesse und Almstedt-Segeste wurden - sehr ungewöhnlich für kleine Dorfbahnhöfe - separate Wartezimmer I. Klasse eingerichtet. Diese im Volksmund "Fürstenzimmer" genannten Räume waren allerdings den Grafen von Wrisbergholzen und ähnlichen "Honoratioren" zur Benutzung vorbehalten. In Bodenburg gab es dagegen nur Warteräume der II. und III/IV. Klasse, dafür aber eine Bahnhofsrestauration und einen separaten Postschuppen.

Nach Fertigstellung der Verbindung Bodenburg - Bad Gandersheim im Jahre 1902 war das Nebenbahnnetz vollendet. Die Züge verkehrten nun in den Relationen Hildesheim - Bodenburg - Kreiensen und Bodenburg - Elze. Bodenburg entwickelte sich dabei zu einem kleinen Knotenpunkt mit Lokschuppen und Drehscheibe. Schon bald mußte dieser erweitert werden und auch der Güterschuppen mußte dem steigendem Frachtaufkommen angepaßt werden.

Viele Jahrzehnte bestimmten die damals üblichen Dampfzüge das Bild der Bahn. Qualmende rußspeiende Lokomotiven, Holzbänke der 3. Klasse, bis 1928 gar Bretterbänke der 4. Klasse, waren üblicher "Reisekomfort". Im Winter gab es eine Ofen- und später Dampfheizung, sowie eine schummrige Gasbeleuchtung. Für Reisende mit großem Gepäck waren die Abteile für "Reisende mit Traglasten" gedacht. Hier konnte man Bauern mit Kiepen oder Marktfrauen mit allerhand ländlichen Erzeugnissen antreffen. So manches Huhn, Ferkel oder fette Weihnachtsgans hat hier die letzte Fahrt Richtung Kochtopf absolviert. Zur Zeit der sogenannten "Abteilwagen" gab es noch keinen Durchgang von Abteil zu Abteil oder gar von Wagen zu Wagen. Der Schaffner turnte während der Fahrt außen am Zug entlang! Ein Unglücksfall aus dieser Zeit ist dabei auch für diese Strecke überliefert: Ein Zugschaffner wollte anläßlich der Fahrkartenkontrolle gerade außen am Zug von einem in den anderen Wagen klettern als dieser die große Almstedter Brücke erreichte. Ein Windstoß drohte im die Dienstmütze vom Kopf zu blasen. Der Griff zur Mütze ließ in die Griffstange verfehlen, er verlor den Halt und geriet unter die Räder und verlor ein Bein. Doch auch die Bremser waren nicht zu beneiden. Bis zur Einführung der durchgehenden Druckluftbremse in den 20er Jahren saßen diese zuerst vollkommen ungeschützt- später in winzigen zugigen "Bremserhäuschen" oben auf den Wagendächern, um die Bremsen nach Pfeifsignalen des Lokführers anzuziehen. Gerade zwischen Gronau und Bodenburg war dies oft erforderlich, verlief doch die Strecke hier fast ausnahmslos in Steigung und Gefälle.

Bereits 1909 tauchten erste, damals hochmoderne Speichertriebwagen der Bauart Wittfeld auf den Strecken um Hildesheim auf. Diese umweltfreundlichen Akkutriebwagen wurden ab 1936 typisch für die Strecke Bodenburg - Elze. Sie erhielten aufgrund ihres unverwechselbaren Geräuschs von der Bevölkerung den Spitznamen "Heulbojen". So fuhren bald nur noch die langen Züge des Berufs- und Schülerverkehrs mit Dampflokomotiven. Noch in den 50er Jahren verkehrten zwischen Bodenburg und Elze täglich 9 Personenzugpaare, zwischen Gronau und Elze gar doppelt so viele. Die alten Dampfzüge und Wittfeld-Triebwagen wurden nach und nach von moderneren Akkutriebwagen ETA 150 und den Schienenbussen VT 95 abgelöst.

Doch schon bald machte sich mit der privaten Motorisierung die beginnende Abwanderung auf die Straße bemerkbar. Das Fahrgastaufkommen ging stetig zurück, das Zugangebot wurde stark eingeschränkt. Am 24.9.1966 verkehrte schließlich der letzte Personenzug zwischen Bodenburg und Gronau. Zwischen Gronau und Elze wurde der Personenverkehr noch bis 1980 aufrechterhalten. Auch der Güterverkehr war ab Ende der fünfziger Jahre rückläufig. Mit Stillegung des Almstedter Kalkwerkes 1956 ging der Strecke einer der großen Güterkunden verloren. Nur während den herbstlichen Rübenkampagnen gab es noch lange Güterzüge mit Zuckerrüben zu den Fabriken in Gronau und Östrum.

Aus heutiger Sicht ist aber bemerkenswert, welche ganz alltäglichen Gebrauchsgüter selbst Anfang der sechziger Jahre noch mit der Bahn befördert wurden. Kürzlich aufgefundene alte Frachtbriefe belegen z.B. für den Bahnhof Almstedt-Segeste im Jahr 1961: Wäschesendungen für einen Kuraufenthalt, Rindersamen für eine Besamungsstation und Spielfilmen für das Union-Lichtspieltheater in Wrisbergholzen, Milch, lebende Küken, Teppiche, Tapeten, Strumpfwaren, Salzheringe, Kinderroller, gebrauchte Flicksäcke, Mistforken, Matratzen, Prilpulver, Wurstgewürze und vieles mehr. Doch die Blütezeit der Eisenbahn war auch im Güterverkehr längst vorbei. Einige Jahre später beschränkte sich der Verkehr nur noch auf vereinzelte Wagenladungen überwiegend für die Landhandel und Brennstoffhändler. 1970 wurde schließlich auch der Güterverkehr zwischen Gronau und Sibbesse, 1974 zwischen Sibbesse und Bodenburg und schließlich 1994 auch zwischen Gronau und Elze endgültig eingestellt.

Damit wäre die Geschichte der Bahnlinie Bodenburg - Elze eigentlich beendet, hätten sich nicht Anfang der siebziger Jahre einige Eisenbahnfreunde in Bodenburg zusammengefunden um historische Bahntechnik der Nachwelt zu erhalten. Die 1972 gegründete Arbeitsgemeinschaft Historische Eisenbahn e.V. erwarb 1976 das stillgelegte Streckenstück Bodenburg - Almstedt-Segeste von der Deutschen Bundesbahn. Als erste Museumsbahn Deutschlands mit einer eigenen Normalspurstrecke konnte am 6.11.1976, also 75 Jahre nach der ersten Inbetriebnahme, der Museumsbahnbetrieb der Almetalbahn eröffnet werden. 15 Jahre lang verkehrten die historischen Züge des Vereins zwischen Bodenburg und Sibbesse, später zwischen Bad Salzdetfurth und Almstedt-Segeste zur allgemeinen Freude der Besucher. Der Verein konnte jedoch die bereits in sehr schlechtem Zustand von der Bundesbahn übernommene Strecke nicht langfristig in Betrieb halten und mußte 1991 den Zugverkehr einstellen. Seitdem bemüht man sich, zumindest einen Abschnitt der Almetalbahn zu sanieren. Der Museumsbahnbetrieb beschränkt sich derzeit auf die Veranstaltung von Bahnhofsfesten im Bahnhof Almstedt-Segeste bei denen einige alte Lokomotiven im Bahnhofsbereich vorgeführt werden. Bedauerlicherweise ist das Interesse der heutigen Museumsbahner an der regionalen Eisenbahngeschichte nur noch gering. Im Gegensatz zu früheren Jubiläen und Ausstellungen wurde der 100. Geburtstag der heutigen Museumsstrecke und selbst das 25 jährige Jubiläum der Museumsbahn bei den diesjährigen Veranstaltungen noch nicht einmal mehr erwähnt.

Bis auf die heute im Eigentum der Museumsbahn befindlichen Gleisanlagen zwischen Bodenburg und km 5,05 bei Segeste wurden alle Gleise nach der Stillegung der Bahn abgerissen und die Trasse teilweise wieder der landwirtschaftlich Nutzung zugeführt. Zwischen Eitzum und Gronau wurde ein Radweg teilweise auf dem ehemaligen Gleiskörper angelegt. Einige Bahndämme und Brücken sowie die inzwischen privat genutzten und teilweise umgebauten ehemaligen Bahnhofsgebäude in Hönze und Gronau erinnern noch heute an den Verlauf der ehemaligen Bahnstrecke. Die Brücken, das Bahnhofsgebäude in Almstedt und der gesamte Bahnhof Bodenburg stehen heute unter Denkmalschutz. Doch auch in der Erinnerung vieler älterer Einwohner ist sie noch lebendig, die Erinnerung an die "gute alte Eisenbahn".

Zwischen Hildesheim und Bodenburg verkehren nach wie vor Züge. Nach langem Zögern und Zaudern der Bahn ist hier aktuell sogar wieder eine Ausweitung und Modernisierung des Angebotes vorgesehen. Im Bereich Sibbesse und Almstedt hat die moderne Bahn schon länger Einzug gehalten. Seit 1991 rast hier der moderne ICE auf der neugebauten Schnellstrecke Hannover - Würzburg durch die Landschaft. In Almstedt wurde sogar ein neuer Bahnhof angelegt, allerdings nur für betriebliche Zwecke. Der Bevölkerung nutzt dies indes nichts, den es ist kaum möglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln den Ort zu erreichen oder zu verlassen. Im Gegensatz zu anderen stillgelegten Eisenbahnstrecken gibt es zwischen Bodenburg und Elze keinen durchgehenden Ersatz durch eine Buslinie. Einzelne Ortschaften wie z.B. Almstedt sind heute nur noch durch eine einzige werktägliche Busverbindung an den öffentlichen Verkehr angeschlossen. Eine "Reise" nach Hildesheim oder Hannover oder auch nur nach Bodenburg oder Elze wird dadurch wieder zu einem Problem, wie vor der Eröffnung der Eisenbahn vor 100 Jahren!

Quellen:

25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Historische Eisenbahn, Strecken- und Vereinsgeschichte der Almetalbahn (Diehl, Knoke, Schüler 1997)

100 Jahre Lammetalbahn (Pro Bahn e.V. , 2000)

Archiv der Arbeitsgemeinschaft Historische Eisenbahn e.V.



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© 18.11.2001 Uwe Helbig, info@lammetalbahn.de